Autorin Jutta Büsscher war beim Event 2024 dabei! In diesem Erfahrungsbericht zur Meerschreibzeit 2024 in Tunesien erzählt sie von ihren Erlebnissen und natürlich vom Schreibprozess an ihrem Thriller.

Meine Meerschreibzeit 2024

… Der Weg von meiner persönlichen Eis-Challenge über euphorische Hitze in den Schreibflow …

Ich habe es getan: Den mit Kaffeeflecken übersäten Flyer der Meerschreibzeit ernst genommen, mit Carla, einer der Organisatorinnen, ein Gespräch über die Inhalte geführt und dann gebucht. Für drei Wochen. Die Meerschreibzeit ist eine begleitete Schreibauszeit für Autor*innen, die im November in einer Clubanlage in Tunesien stattfindet. Mein Thriller steckte in den Anfängen. Die Meerschreibzeit war für mich der Sprung ins kalte Wasser. Ich nannte ihn versöhnlich: »Meine persönliche Eis-Challenge«. Selbstzweifel, die mir nicht fremd waren, ließen nicht lange auf sich warten. Habe ich die richtige Entscheidung getroffen?

Am 11.11.2024 startete meine aufregende Reise. Während in Deutschland der Karneval begann, flog ich nach Tunesien. Ich hatte mir Ziele gesetzt:

1. Eine Schreibroutine entwickeln.

2. Professionelle Hilfe zu vielen Fragen erhalten.

3. Mit meinem inneren Kritiker ein Arrangement finden.

Alles darf, nichts muss

Beim Frühstück lernte ich die bereits angereisten Teilnehmerinnen kennen, die teilweise Meerschreibzeiterfahrungen aus dem letzten Jahr mitbrachten. Das Motto lautete: »Alles darf, nichts muss«, womit ich Freiheit für meinen Geist verband. Ich spürte, dass eine wunderbare Zeit vor mir lag. Details zum Programm und ein Rundgang durch die Clubanlage eröffneten mir zahlreiche Perspektiven für die nächsten Wochen.

Meine erste Aufgabe bestand darin, im Einzelgespräch mein Projekt unseren drei Coaches und Organisatorinnen Antje Backwinkel, Caroline Mascher und Carla Capellmann zu präsentieren. Ich freute mich, endlich loslegen zu dürfen, und erzählte und erzählte. Die Strategie der drei war einfühlsam, aber ihre Fragen häuften sich.

Kill your darlings

Im Verlauf des Gesprächs verblasste meine Stimme, bis sie verstummte. Meine Ziele verflüssigten sich und die Temperatur im »kalten Wasser« sank drastisch. In mir bahnten sich Eiskristalle ihren Weg. »NEIN!«, hätte ich am liebsten laut herausgeschrien. Das Wort blieb mir im Hals stecken. Mein innerer Kritiker wurde dafür immer lauter. »Hab ich dir doch gleich gesagt. Lass es einfach.«

Nach einer kurzen Pause erklärten mir die drei, wo es in der Geschichte hakte. Aber alles, was ich hörte, war: Das kann so nicht funktionieren. Ich würde mein ganzes Spannungspotenzial am Anfang verbrauchen, und so ging es weiter. Vorschläge, um zu retten, was zu retten war, kamen bei mir nicht an. Sie fanden den verlorengegangenen roten Faden … ich verdrängte ihre Argumente. Später stellte sich heraus, dass mein Unterbewusstsein sie sehr wohl aufgenommen hatte. Autor*innen kennen die Devise »kill your darlings«. Ich kannte sie natürlich auch, aber erst nach diesem ersten Tag meiner Meerschreibzeit fühlte ich die Grausamkeit, die damit einhergeht.

Neuorientierung

In den nächsten Tagen zog ich mich etwas zurück, ging am Strand spazieren, dachte nach und überdachte. Die Trennung von liebgewonnenen Formulierungen und Ideen in meinem Projekt fiel mir schwer, schließlich begleiteten sie mich schon einige Jahre. Aber ich erkannte auch die Notwendigkeit, einen Schritt zurückzugehen.

Also krempelte ich die sprichwörtlichen Ärmel hoch und fing komplett neu an. Ein anderer Arbeitstitel wurde der Name einer neuen Datei. Meine Protagonistin Mary musste noch mal in sich gehen, überlegen, warum sie wirklich von Göteborg in die Wohngemeinschaft in Bad Godesberg gezogen war. Die neuen ersten Sätze führten mich in eine sehr frühe Zeitschiene des Geschehens. Mit meinem inneren Kritiker versöhnte ich mich. Er hatte eine Daseinsberechtigung und wichtige Aufgaben. Allerdings klappte eine Zusammenarbeit mit ihm nur auf Augenhöhe. Der rote Faden glühte. Ich war von meiner neuen Energie überwältigt, wusste aber, dass ich mir Zeit geben musste. Zwei Tage später buchte ich einen Ausflug nach Kathargo. Ich tauchte ab in die tunesische Kultur und war auf dem richtigen Weg.

Neu gewonnene Freiheit

Meine vor der Reise festgelegten Ziele waren täglich präsent. Ich formte daraus kleine Tagesziele und nutzte dieses Potenzial. So schaffte ich es, in den Schreibflow zu kommen. Die Anzahl geschriebener Seiten war für mich sekundär. Ich schritt langsam voran. Die Gruppe stützte mich. Und wenn ich täglich nur eine Seite schrieb oder einen Tag mit Recherche füllte, war das völlig in Ordnung, erfuhr ich. Die aufkommenden Diskussionen mit meinen eigenen – teilweise widerspenstigen – Gedanken begann ich zu schätzen. Ein kreativer Flow tobte in mir. Ich plottete locker meinen neu begonnenen Roman. Meine neu gewonnene Freiheit ließ mich durchatmen. Mein Projekt erschien mir nicht mehr verkrustet, die Knoten waren gelöst.

Die Annehmlichkeiten des Rundum-Sorglospakets des Clubhotels in Hammamet erleichterten mir die Umsetzung. Der Service war genial. Wir Autor*innen ergänzten uns in vielerlei Hinsicht. Der Austausch untereinander war offen und konstruktiv, eben auf Augenhöhe. Keine(r) von uns hatte Erwartungen an den oder die anderen. Wir respektierten und akzeptierten unsere unterschiedlichen Bedürfnisse. Ein Austausch untereinander war jederzeit möglich.

Morgens von neun- bis vierzehn Uhr war der Schreibsaal geöffnet. Ein halbrunder Raum, der für jede/n von uns einen Einzelplatz und Blick aufs Meer bot. Die Ausstattung war perfekt. Genügend Steckdosen und eine Pinnwand, auf die wir drei persönliche Ziele für den Tag steckten. Für unsere Bücher, für uns und für den Austausch. Kreativ- und Motivationskarten oder Umschläge mit kleinen Aufgaben sollten unsere Synapsen neu miteinander verknüpfen. Das Schreiben im Schreibsaal war freiwillig, so wie wir die Freiheit hatten, zwanglos alles zu wählen, was möglich war. Die Clubanlage war weitläufig und so probierte ich verschiedene Schreibplätze aus. In der ersten Woche war es die Strandbar mit ihrer leichten Hintergrundmusik und dem Geplapper einiger Gäste. Eine weitere Oase des Glücks war mein Sonnenbalkon. Hier strukturierte und überarbeitete ich am liebsten.

Jutta beim Schreiben in der Strandbar, am Strand und im Schreibsaal

Jutta Büsscher beim Schreiben am Strand während der Meerschreibzeit 2024
Schreibsaal bei der Meerschreibzeit 2024

Am Strand ließ ich mich von der Sonne und dem Geschehen inspirieren. Oder von Alibaba, dem Dromedar, das täglich spazieren geführt wurde und mich zu einem kleinen Ausritt mit Fotosession verführte. Meine Meerschreibzeit-Kladde füllte sich bald mit handschriftlichen Notizen, die ich dann in den Laptop übertrug. Je nachdem, welche Textpassage mich gerade beschäftigte, vergrub ich entweder meine verkrampften Füße in den Sand oder vereinnahmte die Liege ausgestreckt und völlig entspannt.

Kamel Ali Baba bei der Meerschreibzeit 2024
Wellen am Strand von Hammamet bei der Meerschreibzeit 2024

Und wenn der Wind nicht genug davon bekam, die Wellen aufzutürmen und mit weißen Schaumkronen zu spielen, um sie immer und immer wieder beim Aufprall auf den Strand sterben zu lassen … dann kam die Krimiautorin in mir durch. Dieses Schauspiel veranlasste mich, meiner Protagonistin neue, schwer lösbare Aufgaben zu stellen.

All diese Erfahrungen sind fest in meinem Kopf verankert. Mein fotografisches Gedächtnis wird sie immer und überall hervorzaubern.

Monsterrunden

Täglich um achtzehn Uhr trafen wir Autor*innen uns, unter Leitung unserer drei Coaches, in der sogenannten »Monsterrunde«. In diesem intimen Kreis reflektierten wir den Tag und unser eigenes Zufriedenheitsbarometer und besprachen die Projekte. Caro verteilte täglich Monsterkärtchen. Ihre persönlichen Worte motivierten uns nicht nur, wir hatten unendlichen Spaß dabei. Anfangs belächelten wir diese Fleißkärtchensprüche wie »Tolle Leistung!«, »Einfach prima!«, »monstermäßig!«, die uns an unsere Grundschulzeit erinnerten, später wurden sie essentiell.
Monsterkärtchen bei der Meerschreibzeit 2024

Nicht nur kulinarische Verführungen

Nach der Monsterrunde diskutierten wir über verschiedene Themen. Eine besondere Möglichkeit der Figurenentwicklung, die Formulierung eines ersten Satzes im Projekt, wie eine Lesung optimal vorbereitet wird, Speeddating, um uns in kurzer Zeit auf anderer Ebene kennenzulernen, usw. Nach diesen abendlichen sechzig bis neunzig Minuten der Reflexion und den Workshops belegten wir im großen Speisesaal unseren langen Tisch und genossen die kulinarisch köstlichen Verführungen am Büffet. Ein Schild »Reserved for Meerschreibzeit« entlarvte uns als Autor*innengruppe.

Wenn ich den Tag überwiegend in gebeugter Haltung verbracht, den Blick auf Laptop und Schreibkladde gerichtet – und Pilates, Stretching, Bewegung in jeglicher Form gemieden hatte – war eine Ganzkörpermassage angesagt. Oder ausgelassenes Austoben auf der Tanzfläche nach dem abendlichen Showprogramm. Einige von uns zogen die gemütliche Runde in der »WUNDERBAR« vor. Hier flogen – wie in einer Ideenschmiede – die Gedanken im Ping-Pong-Spiel hin und her.

Fazit meiner Meerschreibzeit, meiner persönlichen Eis-Challenge

Ich kam geflasht nach Deutschland zurück. Die Mischung aus Kulturprogramm, Ausflügen, Spaß, Sport und Rundumsorglos-Paket in der Clubanlage wurde nur noch durch die Gemeinschaft mit tollen Autorenkolleg*innen und das Programm der Meerschreibzeit getoppt.

Ich habe meine gesteckten Ziele erreicht. Der innere Kritiker ist mein Verbündeter geworden. Und wenn sich seine Dominanz in den Vordergrund drängen will … dann denke ich an die aufgetürmten Wellen, die immer und immer wieder auf den Strand prallen.

Spaß und Freude werden meine Basis fürs Geschichtenschreiben bleiben. Lyrik, Kurzgeschichten und Krimis entstehen aus Alltäglichem, vermischt mit autobiografischen Anteilen aus Erlebtem. Denn letztlich will ich mit dem Schreiben mein Leben bereichern und die positive Kraft in mir täglich spüren. Aber auch die Verarbeitung schwieriger Lebenssituationen finden sich in unterschiedlichen Genres, in denen ich mich bewege, wieder. Dreieinhalb Jahre nach der Flut hier im Ahrtal warte ich noch heute auf die zweite Strophe meines Gedichtes »Versuch einer Versöhnung«. Sie entsteht erst, wenn der Zeitpunkt gekommen ist. Dann wird sie genauso spontan aus mir herausfließen, wie die erste Strophe.

Antje, Caroline und Carla haben mir geholfen, den roten Faden in meinem Projekt wiederzufinden. Mit ihrer persönlichen und unterschiedlichen Präsenz lassen sie die Meerschreibzeit zu einem einzigartigen Erlebnis werden.

Der November 2025 ist in meinem Kalender für die Meerschreibzeit geblockt. Und das Motto »Alles darf, nichts muss« begleitet mich beharrlich.

Sonnenbalkon von Jutta Büscher aus dem Erfahrungsbericht zur Meerschreibzeit 2024
Autorin Jutta Büscher bei der Meerschreibzeit 2024

Neugierig? HIER findest du Eindrücke zur Meerschreibzeit 2023 – und HIER Bilder und Statements von anderen TeilnehmerInnen der Meerschreibzeit 2024, die von ihren Erfahrungen berichten.

Noch ein Erfahrungsbericht zur Meerschreibzeit 2024:

Auch Frauke Kämmerling hat für ihren Blog in mehreren Beiträgen einen Erfahrungsbericht zur Meerschreibzeit 2024 geschrieben. Schaut gerne rein:

Ein Traum wird wahr – Meerschreibzeit 2024

Der Kampf mit dem Zeitstrahl

Meerschreibzeit-Kathargo-Mädels

Hafenspaziergang – Fotosession